Seite 49 - Luftfahrtgeschichte

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Luftfahrtlehre und -forschung
an der TH Braunschweig von 1783 bis 1945
Von Dietrich Hummel
Im ausgehenden 18. Jahrhundert verbreiteten sich die Nachrichten über die
spektakulären Ballonfahrten in Frankreich wie ein Lauffeuer. Die Zeitge-
nossen verfolgten die Entwicklung mit ungeheurer Spannung. Die sehr ein-
fachen technischen Voraussetzungen für einen Luftballon wurden rasch ver-
standen: Die Herstellung einer einigermaßen dichten Hülle sowie deren
Füllung mit warmer Luft (System Mongolfier) oder mit Wasserstoff (System
Charles) bereiteten keine Schwierigkeiten. Praktische Versuche konnten
überall leicht durchgeführt werden.
Man muss davon ausgehen, dass die Nachrichten aus Paris über die Auf-
stiege von jeweils zwei Menschen am 21. November 1783 in einem Heißluft-
ballon (Mongolfière) und am 1. Dezember 1783 in einem Gasballon (Charliè-
re) im Laufe des Dezember 1783 in Braunschweig bekannt waren. Der
Braunschweigische Herzog Karl Wilhelm Ferdinand (1735 – 1806) war den
Naturwissenschaften gegenüber sehr aufgeschlossen, und er beauftragte
wohl schon 1783 den Naturforscher seines Collegium Carolinum Professor
Eberhard August Wilhelm Zimmermann (1743 – 1815) und den Apotheker
Justus Christoph Heinrich Heyer (1746 – 1821) auf seine Kosten mit Bau und
Betrieb einer Charlière. Dies führte zu den beiden Fahrten des unbemannten
Ballons „Ad Astra“ am 28. Januar 1784 über 2 km nach Eisenbüttel und am 8.
Februar 1784 über 75 km nach Dambeck bei Salzwedel. Diese Fahrten gehö-
ren zu den ersten unbemannten Ballonaufstiegen in Deutschland. Sie kamen
durch die wohl erstmalige Förderung der Luftfahrt durch die Obrigkeit an
einer deutschen Hochschule zustande. Sie wurden nicht von den Ausführen-
den beantragt, sondern vom Zuwendungsgeber direkt beauftragt.
Im 19. Jahrhundert vollzog sich die Umwandlung des Collegium Caroli-
num über ein Polytechnikum 1835 zur Herzoglich Technischen Hochschule
Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig 1878. Im Wintersemester 1907/08
wurde der Privatdozent Dr. Wilhelm Schlink (1875 – 1968) aus Darmstadt an
die TH Braunschweig berufen, und im Studienjahr 1908/09 wurde er zum o.
Professor für Technische Mechanik, Graphische Statik und Statik der Bau-
konstruktionen ernannt. Schlink interessierte sich wie viele seiner Zeitge-
nossen für die in stürmischer Entwicklung befindliche Flugtechnik. Ohne
dass er dazu aufgefordert worden wäre, hielt er aus eigenem Antrieb imWin-
tersemester 1909/10 privatim eine Vorlesung über „Grundlagen der Luft-
schiffahrt“. Dies war die erste Vorlesung auf dem Gebiet der Luftfahrttech-