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Die Brakteatenprägung im 12. und 13. Jahrhundert
1. Die ersten welfischen Dünnpfennige
1127 hatte König Lothar von Süpplingenburg seine einzige Tochter Gertrud mit Herzog Heinrich dem
Stolzen, Sohn Herzog Heinrichs des Schwarzen von Bayern, verheiratet. Kurz vor seinem Tod 1137 hatte
König Lothar III. seinen Schwiegersohn, der aus dem Geschlecht der Welfen stammte, mit dem Herzog-
tum Sachsen belehnt und damit die Welfenherrschaft über das Land begründet. Nach dem Tod Lothars
am 4. Dezember 1137 wurde 1138 der Staufer Konrad III. zum König gewählt. Heinrich der Stolze ver-
weigerte die Huldigung, weil seine Doppelherrschaft über Bayern und Sachsen vom neuen König nicht
anerkannt wurde.
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Als Konrad III. ihn daraufhin ächtete und ihm die Reichslehen Sachsen und Bayern
entzog, begann Heinrich der Stolze den Kampf um seine Herzogtümer. Bei seinem plötzlichen Tod 1139
hatte er zwar schon Sachsen zurückgewonnen, die Auseinandersetzung um Bayern hatte aber noch nicht
begonnen. Sein Sohn Heinrich der Löwe setzte den Kampf um das Erbe fort.
Ob Heinrich der Stolze in der kurzen Zeit seiner Herrschaft über Sachsen Münzen prägen ließ, ist
umstritten.
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In der älteren Forschung wurde ihm eine Reihe von Dünnpfennigen (früher auch ‚Halb-
brakteaten’ genannt) mit der Darstellung eines Löwen und der
Aufschrift HE(I)NRICVS DVX auf der Vorderseite zu-
geschrieben
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, obwohl man als Alternative auch die Frühzeit
Heinrichs des Löwen für ihre Prägung in Betracht gezogen
hatte (Abb. 18)
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.
Weil die Fläche für das Münzbild größer werden, das Ge-
wicht aber gleich bleiben sollte, wurden für die Pfennige dünne Schrötlinge verwendet, so dass beim
Prägevorgang die Stempel auf die Gegenseite durchdrangen, das Münzbild störten und fast unkenntlich
machten.
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Zudem konnten die tiefsten Stellen der Stempelgravuren beim Prägen nicht mit Metall aus-
gefüllt werden, so dass blinde Stellen entstanden. Die Umschriften sind bei vielen Dünnpfennigen kaum
lesbar, so dass die Zuweisung von Prägungen nach Braunschweig oftmals umstritten ist. Das Rückseiten-
bild wird manchmal als Gebäude mit drei Türmen beschrieben, stellt aber wohl einen Mauerring mit
vier Türmen dar (Abb. 18). Allgemein wird damit die Stadt oder Burg symbolisiert, aus der die Münze
stammt, ohne dass der mit dem Schneiden des Stempels beauftragte Handwerker ein bestimmtes Bau-
werk oder eine bestimmte Stadtanlage im Auge hatte.
Auf einigen der Dünnpfennige lässt sich HEINRICVS
PVER (= Heinrich, der Knabe) lesen (Abb. 19)
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. Diese Auf-
schrift dürfte sich auf Heinrich den Löwen, Sohn Heinrichs
des Stolzen, und die Zeit seiner Minderjährigkeit beziehen.
Die Bezeichnung
puer
könnte verwendet worden sein, um den minderjährigen Sohn von seinem
gleichnamigen Vater Heinrich den Stolzen zu unterscheiden. Dies spräche dafür, dass die übrigen
Dünnpfennige mit HEINRICVS DVX unter dem Vater geprägt wurden. Das Löwenbild auf der Vorder-
seite weist aber dennoch eher auf den Sohn. Obwohl auch schon vereinzelt der Großvater und der
Vater mit einem Löwen verglichen wurden,
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identifizierte sich der Sohn, wie die Aufschriften auf den
Brakteaten (siehe unten S. 35) und sein Beiname ‚der Löwe’ zeigen, geradezu mit diesem Tier, das als
Sinnbild für Mut und Stärke galt. Es war Heinrich der Löwe, der die Löwensymbolik propagandistisch
verbreitete, unter anderem durch die Münzen.
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Dafür dass Heinrich der Löwe der Prägeherr der
Dünnpfennige mit der Aufschrift HEINRICVS DVX war, spricht auch, dass die seltene Schreibweise
BRVNESVVICENSIS mit doppeltem V und das Löwenmotiv mit dem Löwen nach rechts offenbar von
den Dünnpfennigen direkt auf die Brakteaten übertragen wurden; diese sind aber eindeutig Heinrich
dem Löwen zuzuweisen.
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Völlig als Prägeherr auszuschließen ist Heinrich der Stolze nicht, falls die neuerdings von Jäckel ver-
tretene These zutreffend ist, dass schon der ältere Heinrich „den Löwen als Symbol seiner persön-
lichen Legitimation und Befähigung zu königlicher Herrschaft ansah“.
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Dass aber deshalb die Dünn-
Abb. 18:
Heinrich der Stolze (1137-
1139) oder Heinrich der
Löwe (1139-1195), Dünn-
pfennig, Münzstätte Braun-
schweig. – Silber. 0,9 g.
22,5mm. – Städtisches
Museum Braunschweig
Inv.-Nr. 40000.
Vorderseite:
+
HEINRICVS DVX; Löwe
nach links schreitend.
Rückseite:
[
+
BRVNESVVICENSIS];
Stadtbild mit Türmen.
Abb. 19:
Heinrich der Löwe, Dünn-
pfennig 1137-1142, Münz-
stätte Braunschweig. –
Silber. 0,81 g. 24mm. –
Münzkabinett der Staat-
lichen Museen zu Berlin
Objekt-Nr. 18214575.
Vorderseite:
+
HEINRICVS PVER; Löwe
nach links schreitend.
Rückseite:
+
BRVNE[SV]ICENSI; Ge-
bäude mit Kuppel und zwei
Seitentürmen.