Die ‚Kipperei’ in der Stadt Braunschweig
179
Neben den Groschen waren die so genannten ‚Schrecken
berger’ die am meisten verbreiteten Kippermünzen (Abb.
188)
57
. Der Name ist abgeleitet von guten sächsischen
Groschen, die von 1498 bis 1571 aus dem Si lber des
Schreckenberges bei St. Annaberg geprägt worden waren. In
Sachsen wurden während der Kipperzeit die alten
Schreckenberger Groschen durch schlechte Münzen imitiert. Der abschreckende Name übertrug
sich dann auf minderwertige Münzsorten auch außerhalb Sachsens. Die ‚Schreckenberger’ im
Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel tragen die Wertzahl 12 im Doppeladler. Diese Zahl steht
nach süddeutschem Vorbi ld für 12 Kreuzer.
Viele dieser minderwertigen ‚Schreckenberger’ wurden in den Münzstätten geprägt, die in der ehe-
maligen Grafschaft Hohnstein lagen. Neben den Stücken zu 12 Kreuzern wurden auch ‚Doppel-
Schreckenberger’ zu 24 Kreuzern hergestellt.
58
Kleine Dreikreuzer-Münzen mit dem Doppeladler und
der Wertzahl 3 auf der Brust, teilweise auch mit dem Namen des Kaisers, waren offenbar für den Ex-
port nach Süddeutschland gedacht, wo dieses Nominal üblich war.
59
In Süddeutschland fand man
zahlreiche braunschweigische Kippermünzen.
60
Die kleinen Kippermünzen wurden durchweg in Kupfer geprägt,
im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel als Drei-, Zwei- oder Ein-
pfennigstücke.
61
Die kleinsten Kipperstücke hießen in Niedersachsen
bezeichnenderweise ‚Flitter’, wie auf den Münzen selbst zu lesen ist.
Ein Flitter entsprach einem halben Pfennig. Es gab Sechs-, Drei-,
Zwei- oder Einf litterstücke (Abb. 189)
62
.
Unklar ist, inwieweit sich die alten fürstlichen Münzstätten an der Herstellung der Kippermünzen
beteiligten. In Zellerfeld war 1619 der Münzmeister Hans Laffers eingesetzt worden. Zeitzeugen be-
richten, dass er sich nicht an der Unart, leichte Münzen zu prägen, beteiligt habe.
63
Aber in Goslar be-
trieb derselbe Hans Laffers, der sowohl städtischer als auch fürstlicher Münzmeister war, Kipperei
und wurde deswegen 1625 aus den herzoglichen Diensten entlassen.
64
In der Stadt Goslar selbst blühte die Produktion von Kippermünzen. 26 Personen waren dort mit
der Herstellung von Münzstempeln beschäftigt. Nicht nur privat arbeitende Münzmeister wie
Henning Schreiber und Nikolaus Oppermann stellten in Heckenmünzstätten schlechte Münzen her,
sondern auch der Rat der Stadt beteiligte sich mit Hilfe der Münzmeister Hans Laffers, Georg Köhne
und Hans Balder an der Kipperei. Zwischen 1619 und 1622 sol len dort Reichsgroschen und
‚Schreckenberger’ im Betrag von 873.420 Talern gemünzt worden sein, was der Stadt einen Gewinn
von 115.800 Talern einbrachte. Am 4. Februar 1622 rottete sich, durch die Inf lation angetrieben, das
Volk zusammen und plünderte die Wohnungen der Münzmeister Henning Schreiber und Nikolaus
Oppermann sowie die der Juden, die sich als Aufkäufer guten Geldes und Agenten der Kipper und
Wipper betätigt hatten.
65
4. Die ‚Kipperei’ in der Stadt Braunschweig
Im Vergleich zum Fürstentum Braunschweig wurden in den niedersächsischen Städten verhältnis-
mäßig wenige Kippermünzen geprägt. Man findet minderwertige Münzen unter den Goslarer
Groschen und Dreiern
66
, aber auch unter den Prägungen der Stadt Braunschweig.
Der scheinbar größere Wohlstand, der sich im Umland durch die Kippermünzen entwickelt hatte,
beeindruckte auch die Bürger der Stadt Braunschweig. Schon 1618 begannen Einwohner der Stadt
Spekulationsgeschäfte mit den Münzen, darunter der Ratsherr Heinrich Stender, ein wohlhabender
Lohgerber und Lederhändler, der 1614 in den Rat der Stadt Braunschweig gewählt worden war. Er
lieferte Lebensmittel an Herzog Friedrich Ulrich und ließ sich dafür in guten Reichstalern bezahlen,
Abb. 188:
Braunschweig-Wolfen-
büttel, Schreckenberger
1621. – Silber. 1,87 g.
24mm. – NORD/LB
Inv.-Nr. 1835.
Vorderseite:
PRO · LEGE · ET · GREGE
(= für Recht und Volk) ·
1621 · und Blüte; aufrecht
stehender Löwe nach
rechts vor einem Turm.
Rückseite:
FERD · II · D : G · RO · IM · SE ·
AU * (Ferdinandus dei
gratia Romanorum
Imperator semper
Augustus); Reichsdoppel-
adler mit der Wertzahl 12
auf der Brust.
Abb. 189:
Braunschweig-Wolfen-
büttel, Dreiflitter 1621. –
Kupfer. 1,03 g. 17mm. –
HAUM Inv.-Nr. 581b/20.
Vorderseite:
Löwe nach rechts, darunter
Rosette.
Rückseite:
III/ · FLIT:/TER /· 1621 · .