14
angeordneten Panoramarotunden bestehendes Gebäude. Während
für die Besucher die obere Rotunde mit der Londoner Ansicht zugäng-
lich war, fertigte Barker für die untere, größere Rotunde ein weiteres
Bild an. Die 929 m² große Leinwand zeigte die russische Kriegsf lotte
vor Spithead, einem Teil der Meeresenge Solent an der Südküste
Englands. Um den Betrachtern ein möglichst wirklichkeitsnahes Seh-
Erlebnis zu bieten, ließ Barker die Betrachterplattform einem Fregat-
tendeck nachempf inden.
Die feste Panoramarotunde, deren innere Konstruktion die Sicht oben
und unten auf die rahmenlose Leinwand begrenzte sowie die enor-
men Ausmaße des gemalten Geschehens und nicht zuletzt die Nach-
ahmung des Schiffsaufbaus trugen erheblich dazu bei, beim Betrachter
das Gefühl des „als ob“ zu evozieren.
21
Das Panorama sollte den Besucher in seiner „Seh-Sucht“ befriedigen
und die Illusion eines Aufenthaltes auf einem Schiff mitten auf der
Reede von Spithead hervorrufen. Absicht dieser „illusion complète“
oder „illusion totale“
22
war es, „[…] einen hinreissenden Effect [zu]
thun.“
23
Immerhin war die Wirklichkeitsillusion so verblüffend, dass
Königin Charlotte während ihres Besuches am 1. Mai 1794 beim
Anblick des vielen gemalten Wassers seekrank geworden sein soll.
24
Das Londoner Panorama bescherte Barker regelrechte Triumphe.
Auch in der Folge verstanden er und sein Sohn Henry Aston Barker es
immer wieder, mit ihrem Gespür für Aktualität und geschickter Wahl
der Motive die Seh-Lust des englischen Publikums zu befriedigen. Vor
21 Die Rotunde betrat man zunächst durch einen dunklen Gang, um dann über eine
Treppe auf die in der Mitte positionier te Aussichtsplattform zu gelangen. Der Weg
durch den dunklen Gang bewirkt nicht nur, dass sich die Augen an das im Inneren
der Rotunde herrschende Dämmerlicht gewöhnen, sondern er übernimmt auch
eine „Schleusenfunktion“ von der realen hinüber zu der illusionistischen Wirklich-
keit.
22 Vgl. Buddemeier 1970, S. 17 und 164ff.
23 Ein Gemälde ohne Gleiches. In: Göttinger Taschenkalender, Göttingen 1794,
S. 158–161, zitier t nach Oettermann 1980, S. 82.
24 Vgl. Oettermann 1980, S. 81.
allem mit Seeschlachtenbildern wussten sie die patriotischen Gefühle
der Seefahrer-Nation zu bestätigen und zu stärken.
25
Um den im Laufe der Zeit gestiegenen Ansprüchen des Publikums an
eine möglichst vollkommene Wirklichkeitsillusion Genüge zu tun,
bediente man sich neben der naturalistischen und detailreichen Male-
rei
26
vor allem des sog. Faux Terrains, d. h. des Einsatzes von realen
Gegenständen. So verwendete der ehemalige Off izier der kaiserlichen
Garde, Jean Charles Langlois (1783–1870), für sein Panorama der
Seeschlacht von Navarin (1827) das französische Schlachtschiff „Scor-
pion“. Es wurde im Kampf der Engländer, Franzosen und Russen gegen
die Türken eingesetzt. Dieses Schiff war 1831 noch in guter Erinne-
rung, sorgten doch die vielen Erfolgsmeldungen in der Presse für eine
weite Verbreitung des Schiffsnamens.
27
Um auf die maritime Umge-
bung eingestimmt zu werden, durchquerte der Besucher zunächst die
Schiffsräume unter Deck. Alsdann gelangte man auf das Hauptstück
der Decksaufbauten, das als Aussichtsplattform diente. Langois ver-
stand es wie keiner vor ihm, die realen Gegenstände mit dem gemal-
ten Bild zu verbinden und demzufolge eine nahezu vollkommene
Illusion der Situation zu erwirken.
28
Aktiengesellschaften
Zur Finanzierung der Panoramarotunden, der Erstellungen der Lein-
wände und den Unterhalt für die Logistik bildeten sich Aktiengesell-
schaften. So avancierte das Panorama „Siège de Paris“ auf der Welt-
25 Um wichtige Ereignisse zeitnah zu dokumentieren, reiste der Sohn Barkers, Henry
Aston Barker, zu den Or ten des Geschehens und fer tigte zahlreiche Skizzen an,
die als Grundlage für neue Panoramen dienten.
26 In seinen Briefen über das Panorama geht J. A. Eberhard ausführlich auf die
verschiedenen Formen der „Aesthetische[n] Täuschung oder Kunsttäuschung“ ein.
Eberhard 1807.
27 Vgl. Buddemeier 1970, S. 33. Siehe auch die enthusiastische Beschreibung von
Ludwig Börne in Oettermann 1980, S. 125f.
28 Vgl. Buddemeier 1970, S. 33.