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weisen teilweise verblüffende Ähnlichkeiten mit Heinrich Riebesehls
(1938–2010) zwischen 1976 und 1979 entstandenen „Agrarlandschaf-
ten“ auf, die in der Umgebung von Hannover und in der Südheide
entstanden sind.
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Die gebogene Hausfassade am unteren Bildrand in „Über der Stadt“,
Braunschweig 1988 (Abb. 10) f indet ihre Ursache in der Verwendung
einer Panorama-Kamera mit Schwenk-Objektiv. Diese verzerrte
Häuserzeile gruppiert sich wie ein Zirkelschlag um den höchsten,
annähernd mittig im Bild platzierten Kirchturm. Während die gerade
Horizontlinie diesen Halbbogen in der Bildmitte schließt, erstrecken
sich die Wolkenformationen vom Kirchturm aus strahlenförmig über
die Dächer der Stadt. Der Bildraum öffnet sich dem Betrachter wie
ein waagerechter Trichter, der den Blick förmlich einfängt.
Mit der Aufnahme „Über der Stadt“ stellt sich Uwe Brodmann in die
Tradition der Panoramen des 19. Jahrhunderts. Diese erlaubten dem
Betrachter den weiten Blick über die Stadtszenerie und ließen mittels
der Orientierung an signif ikanten Gebäuden, wie Kirchen und anderen
hohen Bauten, Lokalisierungen im städtischen Umfeld zu. Diese Auf-
nahme führt noch einmal die Variationsbreite der Panoramen vor
Augen. Während Fritz Tiedemann die Ansichten der Trümmerstadt
Berlin mittels zusammengefügter Parallelaufnahmen erzeugte, erzielt
3 Beide Künstler lernten sich persönlich in den 1980er Jahren kennen.
Uwe Brodmann die Rundumsicht mit dem Schwenk-Objektiv in einer
Aufnahme.
Bis in die 1980er Jahre sollte Uwe Brodmann die „Horizont“ verwen-
den bis er schließlich mit der „Widelux“ arbeitete. Dieses japanische
Fabrikat belichtet Rollf ilme und wartet, anders als das russische
Modell, mit der Funktion der Fokussierung auf, was dem Künstler
erlaubte, Porträtaufnahmen im Panorama-Format zu machen. Das
breit gefasste Format integriert das Umfeld, die Umgebung des Port-
rätierten. Gartenlandschaft, Wohn- und Arbeitsräume eröffnen dem
Betrachter ein weites Assoziationsfeld, das der Charakterisierung der
Porträtierten Vorschub leistet. (Abb. 11)
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Uwe Brodmanns Verdienst liegt darin, das gemeinhin für Dokumenta-
tionszwecke verwendete Panorama-Format für künstlerische Zwecke
zu nutzen. Insofern betrat Uwe Brodmann terra incognita, was sich
auch daran ablesen lässt, dass bis in die 1980er Jahre hinein Panorama-
Fotograf ie als künstlerisches Format weitgehend unbekannt war. Selbst
in amerikanischen Foto-annuals (Fotograf ie-Jahrbüchern) jener Zeit
waren keine Panorama-Aufnahmen ausf indig zu machen, also in Publi-
kationen aus jenem Land, in welchem bereits seit dem Beginn des
20. Jahrhunderts die Fotograf ie als Kunstform etabliert war.
4 Beide Fotografen haben viele Jahre lang zusammen gearbeitet.
Abb. 10 Über der Stadt, Braunschweig 1988
Abb. 11 Heinrich Heidersberger, Fotograf, Schloß Wolfsburg 1999