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Zur Gesch i cht e des Kl os t er s St . Mar i enberg
auch andere Gründe eine Rolle gespielt haben:
Die Tatsache, dass sich Wolfram in der Kon-
ventskirche bestatten ließ, und der Umstand,
dass seine Schwester dem ersten Konvent wohl
als Priorin vorstand, lassen darauf schließen,
dass er beabsichtigte, St. Marienberg als
Familien- oder Hauskloster zu etablieren.
Helmstedt war zu jener Zeit ein wichtiger
Handelsplatz, unmittelbar an die west-östliche
Handelsstraße angebunden, die von Köln über
Minden, Braunschweig, Königslutter und
Helmstedt nach Magdeburg und von dort
weiter nach Osten führte
4
, und zudem eine der
acht Städte, die es bis 1180 in (Nieder-)Sachsen
gegeben hat
5
. Die strategisch günstige Lage und
die bedeutende Wirtschaftskraft der Stadt
können erhellen, warum Helmstedt ein so
wichtiger Ort für den Welfenherzog Heinrich
d. Löwen war. Dessen machtvolle Bestrebun-
gen, seine Einflusssphäre in seinem Territorium
auszubauen, führten zu einer „gerade zwischen
1174 und Ende 1176/Anfang 1177 vor allem im
Bistum Halberstadt“
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erstarkenden Fürsten-
opposition, der sich die Augustiner-Chorherren,
die Pfalzgrafen von Sommerschenburg sowie
Erzbischof Wichmann von Magdeburg ange-
schlossen hatten. Als der Herzog nach dem Tod
des Pfalzgrafen Adalbert von Sommerschen-
burg (1179) die Vogteirechte, also die weltliche
Schutzmacht, über St. Ludgeri und die Stadt
widerrechtlich an sich brachte
7
, war dies der
gewaltsame Schlusspunkt eines langen Kamp-
fes
8
, den Heinrich d. Löwe damit für sich
entschieden hatte. Während die Quelle von
1235 kein eindeutiges Gründungsdatum für das
Augustiner-Chorfrauenstift auf dem Marien-
berg, sondern nur allgemein die Amtszeit Abt
Wolframs nennt, geben spätere Chroniken
parallel die Jahre 1176 und 1181 an. Nimmt
man das frühere Datum als Zeitpunkt der
Stiftung, das spätere für den Einzug der Kon-
ventualinnen an
9
, wäre die Gründung noch in
diese letzte Phase der Kämpfe gegen den
Herzog anzusetzen. Da Wolfram selbst zu den
Welfengegnern gehörte
10
, wäre denkbar, dass
sie politisch motiviert, „Ausdruck der politi-
schen Oppositionshaltung von St. Ludgeri
gegen die Ansprüche Heinrichs d. Löwen“
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war, also als Gegengewicht gegen die welfische
Machterweiterung in Helmstedt verstanden
werden wollte. Nach dieser Lesart wäre auch
die Ordenswahl politisch motiviert. Letztgültig
klären lässt sich die Annahme (auch) politi-
scher, antiwelfischer Beweggründe für die
Stiftsgründung aber nicht
12
. Die Besiedlung des
St. Marienberger Konventes vom Augustiner-
Chorfrauenstift Steterburg aus, das weithin als
welfentreu bekannt war, wird indes erst erfolgt
sein, nachdem Heinrich d. Löwe mit seinem
Griff nach den Vogteirechten „Fakten geschaf-
fen“ hatte
13
.
Der St. Marienberger Konvent lebte von
Anfang an nach der Regel des hl. Augustinus.
Der später als Kirchenvater verehrte Augusti-
nus (354-430) hatte in seiner nordafrikanischen
Heimat eine geistliche Gemeinschaft von
Laienmönchen gegründet, die das gemeinsame
Gebet pflegten, gemeinsam aßen wie fasteten
und sich dem Studium der Hl. Schrift widme-
ten. Nachdem Augustinus zum Bischof von
Hippo geweiht worden war, verließ er diese
Männergemeinschaft, nicht ohne jedoch eine
kurze Regel für das klösterliche Zusammen-
leben zu hinterlassen – die älteste Ordensregel
der abendländischen Geschichte. Er orientierte
sich darin an der Lebensweise der ersten
christlichen Gemeinden und stellte ihr den
idealen Grundsatz aus der Apostelgeschichte
(4,32-37) voran, wie ein Herz und eine Seele zu
sein und auf persönliches Eigentum zu verzich-
ten. Neben dieser „Praeceptio“ genannten Regel
für Männer verfasste Augustinus auch eine dem
weiblichen Klosterleben angepasste Fassung,
die sog. „Regularis informatio“
14
. Diese wurden
zur Grundlage für die im 11. und 12. Jahrhun-
dert entstehenden Reformorden der Augustiner.
Scharfe Kritik an den innerkirchlichen und
-klösterlichen Verhältnissen, die sich vor allem
an der Simonie (Ämterkauf), der Laieninves-
titur (Amtseinsetzung von Bischöfen, Priestern
oder Äbten durch Nichtgeistliche) und der
Priesterehe, insgesamt aber an der Verwelt-
lichung von Klerus und Mönchtum entzündete,
führte im 11. Jahrhundert zu einer kraftvollen
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