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Zur Gesch i cht e des Kl os t er s St . Mar i enberg
führte auf der Lateransynode von 1059 zu dem
Verdikt des späteren Papstes Gregor VII., die
Stifte seien heruntergekommene Klöster und
bedürften der Reform
17
. Nach dieser Maßgabe
wurde in der Folgezeit das geistliche Leben
zahlloser bereits bestehender Kanoniker- und
Kanonissenstifte unter Anwendung der Augus-
tinusregel erneuert: „Die Stiftsangehörigen
lebten jetzt [nach der Reform] in gemeinsamen
Unterkünften, speisten gemeinsam im Refekto-
rium, verzichteten auf privates Eigentum,
trugen eine einheitliche Tracht und legten die
drei Gelübde [Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam]
ab“
18
. Sie werden seitdem Regularkanonissen
(bzw. -kanoniker), regulierte Chorfrauen
(-herren) oder Augustiner-Chorfrauen
(-herren) genannt
19
. Durch die Neugründung
vieler weiterer Augustiner-Chorherren- bzw.
-Chorfrauenstifte insbesondere im 12. Jahrhun-
dert verbreitete sich die Bewegung in ganz
Europa. In Niedersachsen war St. Marienberg
eines von ihnen
20
.
Der St. Marienberger Konvent unterstand
der Leitung eines Propstes, der für alle äußeren
Stiftsangelegenheiten zuständig war: für Finan-
zen, die Güterverwaltung und die juristische
Vertretung des Konventes
21
. Darüber hinaus
übernahm er (bzw. seine Vertreter) die Seel-
sorge der dem Stift unterstellten Dorfkirchen.
Er wurde vom Konvent gewählt, sodann dem
Abt von Werden-Helmstedt als dem Patronats-
herren des Stifts vorgestellt und in seine welt-
lichen Rechte eingesetzt
22
. Die Verleihung der
geistlichen Rechte erfolgte durch den Halber-
städter Diözesanbischof.
Die Priorin stand als geistliche Leiterin an
der Spitze des St. Marienberger Konventes. Sie
teilte sich außerdem mit dem Propst die Erle-
digung sämtlicher Verwaltungsangelegenheiten,
wobei sie für die internen Belange verantwort-
lich war: Während sie etwa für die Instandhal-
tung der Räume innerhalb des Stifts zu sorgen
hatte, oblag ihm der Erhalt der äußeren
Gebäude. Sie führte das Stiftssiegel, mit dem
sämtliche Urkunden des Stifts beglaubigt
wurden, verwaltete die Spenden und (Memo-
rien-)Stiftungen und wohl auch das Stiftsarchiv.
Reformbewegung, die die Missstände zu
beseitigen und die gesamte Kirche zu den
ursprünglichen Forderungen des Christentums,
zum „apostolischen Leben“ zurückzuführen
bestrebt war
15
. In die Klosterreformbewegung
war nicht nur der Benediktinerorden als ältester
der monastischen Orden (ordo monasticus)
eingeschlossen, sondern auch die Stifts- oder
Domkapitel der Weltkleriker (Kanoniker) bzw.
der weibliche Zweig der Kanonissen. Diese
Angehörigen des sog. ordo canonicus lebten
zwar auch in geistlichen Gemeinschaften nach
den kirchlichen Vorschriften (canones) zusam-
men, feierten gemeinsam Gottesdienst, kamen
zum Stundengebet zusammen usw., doch legten
sie, anders als die Benediktinermönche oder
-nonnen, keine Gelübde ab, unterlagen nicht
den strengen Klausurbestimmungen, konnten
Privateigentum besitzen und aus ihrem Stift zu
Heiratszwecken auch wieder austreten
(Kanonissen)
16
.
Diese Lebensweise (insbesondere die Frage
des Privatbesitzes) widersprach fundamental
den asketischen Idealen der Reformer und
Abb. 2: Siegel des Stifts
St. Marienberg (um 1200)
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