Die Herstellung der ersten großen Quadriga von Ernst Rietschel
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Die Fernwirkung der Quadrigasilhouette
Ab Mai 1856 fertigte Rietschel zunächst ei-
nige Zeichnungen von der großen Quadri-
ga an. Anschließend wurden sie durch das
damals neueste Medium, durch Fotogra-
fien, vervielfältigt und nach Braunschweig
verschickt. Das waren die Grundlagen für
die zukünftige Beurteilung der Fernwir-
kung der Quadriga und ihrer Details. Im
Januar 1857 beantragte er bei den Landstän-
den, eine Holzsilhouette der Quadriga nach
seinen Vorlagen anzufertigen, wozu es
Ende April 1857 nach einiger Verzögerung
auch kam.
Der für die Silhouette zunächst vorgese-
hene Braunschweiger Hofmaler Weiß war
im März und April für den Geburtstags-
empfang des Herzogs am 25. des Monats
mit den „Decorationen“ beschäftigt und
daher nicht abkömmlich. Die Silhouette
führte schließlich der hannoversche Hof-
maler Dehn aus.
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Die Begutachter der Fernwirkung der
Quadrigasilhouette, gebildet aus demWagen,
der Brunonia und einem Pferd, waren Riet-
schels Vertraute Carl Schiller und Georg Ho-
waldt, sowie der Baumeister Friedrich Maria
Krahe (1804-1888) und der Landschaftsmaler
Heinrich Brandes (1803-1868).
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Damals wurden Entscheidungen von
grundsätzlicher Bedeutung für die zukünf-
tige Quadrigagestaltung getroffen. Man
kann sie sich gut aus dem hiernach entstan-
denen 1:3-Modell Rietschels und der neuen
Quadriga von 2008 erklären. Der neuralgi-
sche Punkt im Viergespann auf Höhe der
Schlossattika war und ist die Brunoniafigur.
Als inhaltlicher Kern der Gruppe musste sie
trotz der davorgestellten Pferde und des Wa-
gens gut vom eng begrenzten Schlossplatz
aus zu sehen sein. Sonst wäre die ganze
Gruppe verdorben gewesen.
Daher zählte die Untersockelung des Wa-
gens, durch die Wagen und Lenkerin aus
der Gruppe sichtlich hervorgehoben wur-
den, gewiss zu den ersten Grundsatzent-
scheidungen. Auch legte man ihre Grund-
maße fest, um stimmige Proportionen der
Quadrigateile untereinander zu erhalten. So
wurde entschieden, dass die Brunonia im
1:3-Modell etwa lebensgroß sein müsste
(Abb. 38)
und im 1:1-Maßstab eine Höhe von
mindestens „16 Fuß“ (= 4,56 m)
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erreichen
sollte. Triumphwagen und Pferde hingegen
sollten relativ klein ausfallen
(Abb. 35; 36)
.
Daher erscheinen die Pferde, die im 1:1-Maß-
stab nur „14 Fuß“ (= 4 m) hoch sein sollten,
selbst im später noch vergrößerten 1:3-Maß-
stab eher ponyhaft.
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Durch ihre Größe
überragt die 1:3-Brunonia ihren Wagen
schon ab Kniehöhe, während ein natürlich
großer Wagenlenker seinen relativ größeren
Wagen erst ab Hüfthöhe überragen würde.
Zu den Grundsatzentscheidungen gehörte
schließlich auch die Aufstellung der Pferde
an der Vorderkante des Attikakubus und die
Auffächerung, so dass Zwischenräume die
Gruppe auf lockerten und Ausblicke auf die
Brunonia und den Wagen mit dem Her-
zogswappen gewährten.
Die Quadriga vom Brandenburger Tor
wird Rietschel gezeigt haben, wie man die
räumlichen Verhältnisse innerhalb einer so
großen Gruppe und zu dem Sockel unter
dem Wagen gestalten sollte. Der geplante
Sockel sollte wie in Berlin den Wagen und
die Brunonia leicht über die Pferde empor-
heben, so dass beide auch aus der Ferne gut
zu erkennen wären.
Vertragsabschluss mit Rietschel 1857
Im Frühsommer 1856 hätte der neue Hono-
rarvertrag mit Rietschel eigentlich abge-
schlossen werden sollen, aber noch im
Frühjahr 1857 arbeitete Rietschel aus Zeit-
not ohne eine vertragliche Grundlage. Um
Rietschels finanzielle Lage und seinen öf-
fentlichen Rückhalt in Braunschweig abzu-
sichern, hatte Schiller am 27. Mai 1856 un-
geschickterweise vorgeschlagen, Rietschel
sollte für das Residenzschloss auch noch
alle anderen fehlenden Skulpturen anferti-
gen: die Reiterstandbilder, die Giebelplastik,
die zehn Figuren der Dachbrüstung und
die Reliefs am Hauptportal, wofür er insge-
samt 100.000 RT hätte fordern müssen.
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Das Braunschweiger Schloss wäre damit