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Feindschaften? Darüber nachzudenken wurde un-
angenehm, das spürte Lara. Das hatte mit ganz viel
Dunkelheit zu tun. Zehntelsekundenlang schoss ihr
die unklare Gestalt aus ihrem Traum in den Kopf
und die belastende Schwere unter der Leichtigkeit
der schwebend tanzenden Elfen.
Die Türglocke musizierte leise hämmernd eine
Melodie.
Der Postbote händigte ihr ein Päckchen aus.
„Mein Gedichtband“, murmelte sie. Sie freute sich
auf den stillen Moment, wenn sie ihn lesen konnte.
Jetzt fand sie dazu keine innere Ruhe.
Sie kannte Samuel, dem der Zeitungsladen im
Zentrum gehörte. Er hatte jüdische Vorfahren. Es
trieb sie heute dahin.
Als sie ankam, war Samuel gar nicht da, dennoch
blieb sie dort, um am Stehtisch einen Cappuccino
zu trinken. Sie war vor Jahren mit Samuel über
einen Zeitungsartikel ins Gespräch gekommen. Sie
mochte seine Art, auf Menschen einzugehen, seine
einfühlsame Kraft. Es tat gut, mit ihm zu reden, im-
mer fühlte sie sich wertgeschätzt. Er war nicht so
oberflächlich, wie sich viele ihrer Bekannten oft ga-
ben.
Samuel war vor vielen Jahren aus Prag in die ver-
gleichsweise kleine Stadt in Niedersachsen überge-
siedelt. Er hatte die Stadt geliebt, in der schon seine
Vorfahren gelebt und die jüdische Tradition liebe-
voll und genau gepflegt hatten.
Davon hatte er sich im Laufe der Jahre dann doch
sehr distanziert. Er wollte nicht mehr das Alte mit
aufrecht halten helfen, er fühlte sich anders. Er hat-