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Der Himmel ist grau, Wassertröpfchen flattern
durch die Luft. Ein schwacher Wind weht von Wes-
ten herüber, vom Stadtzentrum. Seit fünf Jahren hat
Thormann es nicht mehr betreten. Penner wie er
dürfen die Zwischenstadt nicht verlassen. Vage erin-
nert er sich an den Geruch nach Benzin und Gebra-
tenem auf den Straßen. An seine Wohnung im
Dachgeschoss, den Blick auf den kleinen Park. Ich
habe, denkt er, noch nicht einmal Sehnsucht. Er
wendet sich nach Osten, läuft am Fluss entlang. Der
Wind kräuselt das schlammige Wasser. Das Gras am
Ufer ist verbrannt. Bierdosen, Spritzen, eine nackte
Schaufensterpuppe ohne Kopf. Er läuft schnell. So
früh am Morgen wird er vielleicht noch keinem be-
gegnen. Die Zwischenstadt erwacht erst gegen
Abend. Dann wetzen die Bandenkrieger ihre Messer,
die Dealer stecken ihre Reviere neu ab. Die Ob-
dachlosen scharen sich um die Brückenpfeiler, ver-
stecken ihren Schnaps unterm Mantel und hoffen,
dass sie die Nacht überleben. Wenn Thormann bei
ihnen ist, sitzt er still mit geschlossenen Augen und
denkt an den Ort Gottes. Und an sie. An Elys.
Es war in seinem ersten Jahr in der Zwischenstadt.
Er hatte sich verlaufen. Stand plötzlich in dem
Kirchgarten. Ein Wohngebiet, er hätte nicht dort
sein dürfen. Doch der Duft der Tannen hüllte ihn
ein wie Balsam. Die rote Backsteinkirche, das graue
Pfarrhaus schienen seltsam vertraut. Vor dem Haus
saß ein Kind im Gras und spielte mit einer weißen
Katze. Er konnte den Blick nicht von diesem Mäd-
chen wenden. Zehn Jahre mochte sie alt sein. Die
zarte Unschuld ihrer Bewegungen. Die schmalen