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den Jüdischen Friedhof gelesen: „Auf einer Fläche
von 11.000 Quadratmetern hat man ebensoviele
steinerne Grabsteine gezählt. Es ist ein Garten der
Toten. Ein Fünftel der Fläche des gesamten Gettos,
des Wohnviertels, hat erst allmählich durch Ankauf
umliegender Gärten seine heutige Form erhalten.
Seine Anfänge hängen wahrscheinlich mit der Ent-
scheidung König Wladislaws aus dem Jahr 1478 zu-
sammen.“
Welcher Geist hat mich hierher getrieben – zu-
rück in die Vergangenheit.
Tina erinnert sich an Klaus. Er war 21 Jahre alt. Es
war ein Wochenende im Mai, er hatte sie eingela-
den. Da sie zu dieser Zeit in einem Mädchenwohn-
heim in Leipzig lebte, war diese Wochenendreise für
sie ein großes Erlebnis. Ein Glück, dass Tina die Er-
laubnis von der Heimleitung bekommen hatte, sie
war sechzehn Jahre jung und Schriftsetzerlehrling.
Das Studentenwohnheim an der Elbe, in einem
alten Schloss, war von einem herrlich angelegten
Park umgeben. Gegen Abend setzten sich die jun-
gen Menschenkinder auf eine Bank, umgeben von
Holunderbüschen. Der Holunder, auch Flieder ge-
nannt, verströmte seine Düfte. Tinas Herz war
schwer, sie wollte Klaus an diesem Wochenende sa-
gen, dass sie die DDR verlassen wollte. Flüchten aus
Leipzig, sobald ihre Ausbildung in der Gutenberg-
schule beendet ist. Klaus kannte sie seit dem letzten
Jahreswechsel, er war ihr erster Freund, ihre erste
Liebe. Ihre beste Freundin, auch Studentin der Me-
dizin, hatte ihn zur Silvesterfeier in die Kongress-
halle am Leipziger Zoo mitgebracht.