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von dem Schriftsteller Wilhelm Raabe hatte sie
noch nie etwas gehört. Gespenstisch und spannend
die Novelle Holunderblüte.
In der Volksschule, und später in der Berufsschule,
wurde hauptsächlich der sozialistische Realismus ge-
lehrt. Von einem Hungerpastor, der Sperlingsgasse
und der Novelle Holunderblüte hörte Tina Klaus
sprechen. Letzteres passte zumUmfeld im Park, denn
je später der Abend wurde, umso mehr verströmten
die Blüten des Holunders ihren süßen Duft.
Gespenstisch zeichneten sich die knorrigen Äste
der Büsche im Licht des Mondes ab.
Behutsam zog Klaus das junge Mädchen an sich,
küsste ihre Wangen bis sich die Lippen fanden. Tina
flüsterte glücklich: „Wir sind noch so jung und ha-
ben viel Zeit, noch bin ich hier. Immer werde ich an
uns denken, an unseren Holunderfrühling in Dres-
den.“
„Ja, wo auch immer wir sein werden“, Klaus schau-
te sie traurig an, er liebte sie und konnte ihr doch
das Vorhaben, die DDR zu verlassen, nicht ausre-
den. Er sagte mit bedrückter Stimme: „Ich werde
hier studieren, nicht mit dir kommen, es war schwer
genug, einen Studienplatz zu erhalten. Wie du
weißt, ist mein Vater Arzt und ich musste dafür
kämpfen. Zuerst kommen immer die Arbeiterkinder
an die Reihe. Meine besten Zeugnisse und die Zuge-
hörigkeit zur FDJ (Freie Deutsche Jugend) haben
mir geholfen.“
Was Tina zu dieser Zeit nicht wusste: Klaus war
schon als IM von der Stasi angeworben, wie viele
seiner Mitstudenten. Zum Glück sind einige dieser