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nah, es ist doch erst gerade Mittag, der befreit Dich
auch nicht von Deiner Zeitumstellung, Du solltest
nach Hause gehen und schlafen.“ „Das kann ich
jetzt nicht, ich habe noch einen dringenden Termin.
Und denjenigen darf ich keineswegs warten lassen,
das würde er mir übel nehmen. Außerdem ist Kris-
teller ein famoses Hexengetränk, schmeckt nach
Heimat und wildem Mann.“ Der Barmann grinste
und goss Hannah nach. „Na dann, wie könnte ich
Dir den Geschmack der Heimat verwehren?!“
Hannah drehte sich auf ihrem Hocker um, stütz-
te die Ellenbogen rückwärtsgewandt auf den Tresen,
ihr Haar fiel locker in den Nacken und sie schaute
in den Raum, in ein typisches, gemütliches, uriges
Harzer Kneipengesicht, zum Überdauern aus har-
tem Holz geschnitzt. Wetterfest gegenüber dem
Zahn der Zeit. Geduldig alle Geständnisse in die
Jahresringe einlagernd. Ein Raum voller Reminis-
zenzen, doch ihre würde sie hier und jetzt nicht ent-
schlüpfen lassen. Zunächst waren sie nur für einen
Mann bestimmt. Die Bilder kamen zurück, alles war
so lebendig. Sie war so aufgeregt, diese Reise, dieser
Abend – dieser eine Abend.
Gegen Ende eines weiteren Arbeitstages hatte sie
beschlossen, sich von der Gruppe abzusetzen und
auf das organisierte Programm mit allen Annehm-
lichkeiten zu verzichten. Sie ließ sich durch die Stra-
ßen treiben. Die Menschenschwärme trugen sie wie
eine Welle schwungvoll von Plätzen, zu großzügi-
gen Avenidas, durch enge hitzige Gassen, vorbei an
lamentierenden Männergruppen, ließ sie gelb-grüne
Fahnenketten durchschreiten, den Hüftschwung