Seite 97 - Raabe_inspiriert

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Ulrich Wiesjahn
Alexanders Reise nach Prag
Was für eine Stadt! Was für eine schöne und zu-
gleich schreckliche Stadt! Überall war hier das Blut
in die Erde geflossen, auf der nun die glänzendsten
Häuser und Kirchen standen, blühende Häuser, wie
man sie immer nach blutigen Zeiten gebaut hat.
Alexander, der zarte, empfindsame Alexander mit
dem gewaltigen Namen, war von der Loretokirche
her am Schwarzenberg- und am Sternberg-Palais
vorbeigeschlendert und an den Rand des Platzes vor
dem Hradschin getreten. Von hier aus öffnete sich
ihm ein weiter Blick über Prag. „Was für eine Stadt!“,
dachte er träumend.
Unten im Tal sah er das Dächergewirr der uralten
Siedlung, aus deren Mitte die Türme der Teynkirche
wie scharfe Lanzen herausstachen. Vor der Altstadt
wand sich die silbrige Moldau als mächtiger Lind-
wurm zwischen den Hügeln und Höhen hindurch.
Und für den Betrachter noch weiter vorn, also zu
Füßen der Burg, lagen in den Tälern der Kleinseite
die prächtigen pastellfarbenen Paläste aus der Zeit
nach dem schrecklichen Dreißigjährigen Krieg. Aus
einem, dem Palais der berühmten Familie Lobko-
witz, wurde vor einundzwanzig Jahren der tausend-
fache Jubelschrei der Befreiten empor geschleudert
und war bis hier oben zu hören gewesen. Alexander