Seite 56 - Schloss_Wolfenbuettel

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Leben am Hof
Die
vier genannten Behörden wa-
ren im Kanzleigebäude in der Kanzlei-
straße in Wolfenbüttel untergebracht.
Im 18. Jahrhundert beherbergte das
Erdgeschoss Registratur und Landes-
archiv – im Obergeschoss befanden
sich die Räume der Justizkanzlei, der
Kammer, der Klosterratstube und des
Konsistoriums. Der Geheime Rat trat
hier unter dem Vorsitz des Herzogs
zu seinen regelmäßigen Sitzungen
zusammen. Unter Herzog August Wil-
helm verlegte man diese Sitzungen
ins Geheime Ratsgemach des Wol-
fenbütteler Schlosses. Nach der Resi-
denzverlegung wurden die Sitzungen
im Grauen Hof in Braunschweig ab-
gehalten, wohin die Kammer als ers-
te der Behörden bereits im Jahr 1732
verlegt worden war. Nur das Konsistorium verblieb,
auch nachdem die Herzöge nach Braunschweig ge-
zogen waren, weiterhin in Wolfenbüttel. Ab 1878
wurde das Kanzleigebäude schließlich ganz dem
Landesarchiv überlassen.
Einige Personendaten der wichtigen Amtsinha-
ber seien mitgeteilt:
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Beinahe 40 Jahre lang fungierte
der 1683 geadelte Philipp Ludwig Probst von Wend-
hausen (1633-1718) als Kanzler. Von 1680 bis 1718
diente er unter den Herzögen Rudolf August, Anton
Ulrich und August Wilhelm. Die Leitung von Hof-
gericht und Konsistorium übertrug man in Herzog
Anton Ulrichs Regierungszeit Urban von Lüdecke
(1655-1729), der zwischen 1718 und 1729 sogar die
Position des Kanzlers inne hatte. Der zwischen 1716
und 1727 als Kammerpräsident verpflichtete Hie-
ronymus von Münchhausen (1680-1742) nahm die
Kanzlerposition von 1731 bis 1742 ein. Nach seinem
Tod wurde die Stelle nicht wieder besetzt, und die
Regierungsgeschäfte führte ab 1743 Vizekanzler Ge-
org Septimus Andreas von Praun (1701-1786). Das
Ministerium wurde schließlich zwischen 1754 und
1773 von Premierminister Heinrich Bernhard Schra-
der von Schliestedt (1706-1773) geführt.
Erhaltene Akten aus dem Jahr 1721 geben Aus-
kunft über die Vergütung der Staatsbeamten: Herzog
August Wilhelm zahlte dem Kanzler jährlich 1600
Taler – die Geheimen Räte hatten sich schon mit der
Hälfte dieser Summe zufrieden zu geben. Sekretäre
wurden mit 100 Talern entlohnt und den niedrigen
Bediensteten standen 41 Taler im Jahr zu.
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Der Herzogwar nicht nur Staatsoberhaupt imLand
sondern auch oberster Heerführer. Zu Beginn des 18.
Jahrhunderts verfügte er über eine Streitmacht, die,
in Infantrie und Artillerie gegliedert, 48 Kompanien à
70 Mann umfasste. In der Regel rekrutierten sich die
Offiziere aus dem hohen Landadel, und die Soldaten
entstammten dem Bürgertum. Da eine Kasernierung
des Militärs nicht üblich war, quartierte man die ge-
meinen Soldaten bei Bürgern ein.
Der Erlass von Gesetzen, die Festlegung der
Steuern und die Bewilligung finanzieller Mittel für
das Heer oder den Hofstaat erforderte eigentlich
die Zustimmung der Stände, die auf dem Landtag
in verschiedenen Orten – nach 1634 am häufigsten
in Braunschweig – zusammenkamen. Der Landtag
bestand aus drei Kurien: Die Prälaten (Vertreter der
Klöster und Stifte), die Ritterschaft (60-70 Rittergüter)
und die Vertretungen der Städte des Fürstentums. Die
Bauern, welche das Gros der Bevölkerung im Her-
zogtum darstellten, wurden im Landtag nur indirekt
über die Ritter, zu deren Gütern sie gehörten, vertre-
ten. Faktisch war der Landtag jedoch machtlos, denn
er wurde zwischen 1682 und 1768 einfach nicht
mehr einberufen. Mit Hilfe von weitgehend macht-
losen und nur selten einberufenen Kollegien fällten
der Herzog und seine Regierung in absolutistischer
Manier fast uneingeschränkt Entscheidungen, ohne
dass die Stände informiert oder gar um Zustimmung
ersucht worden wären.
Abb. 152
Philipp Ludwig Probst
von Wendhausen
,
Johann Georg Bäck
(1676-1722), Kupfer-
stich, 1719;
Herzog August Biblio-
thek, Wolfenbüttel, A
16957