Seite 57 - Schloss_Wolfenbuettel

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VI.2
Der Hofstaat
Bereits im Jahr 1470 rechnete man rund 200 Men-
schen zumHof, und aus der Zeit von Herzog Heinrich
„dem Jüngeren“ (reg. 1514-1568) und dessen Sohn
Julius (reg. 1568-1589) ist überliefert, dass man an
der Wolfenbütteler Residenz über einen durchorga-
nisierten Hofstaat verfügte, der zwischen den Ämtern
der oberen Hofbeamtenschaft, der Ehrendienste und
den Aufgaben der Dienerschaft unterschied.
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Mitte
des 16. Jahrhunderts umfasste der Hofstaat an der
Wolfenbütteler Residenz rund 200 Menschen. In der
Zeit Herzog August „des Jüngeren“, der nach Beendi-
gung des Dreißigjährigen Krieges nach Wolfenbüttel
gekommen war, schrumpfte der Hofstaat zunächst auf
etwa 100 Personen,
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im Verlauf des 17. Jahrhunderts
– besonders aber seit dem Regierungsantritt Herzog
Anton Ulrichs (reg. 1685-1714) – wuchs die Hofhal-
tung wieder erheblich an. In der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts erweiterte man in den Regierungsjahren
von Herzog August Wilhelm (reg. 1714-1731) noch
einmal deutlich den Aufwand bei der Hofhaltung,
was u.a. an der fortschreitenden Spezialisierung der
Hofämter und an der wachsenden Zahl der Ehrenäm-
ter und Hofbediensteten abzulesen ist. Umfasste der
fürstliche Hofstaat um 1687 noch circa 200 Personen,
so stieg die Anzahl der in der Hofhaltung Beschäftig-
ten bis 1722 auf 350 Menschen und erreichte um
1735 die stolze Zahl von knapp 500 Seelen.
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Hier soll
der Wolfenbütteler Hofstaat in seinem Blütezustand
von den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts
bis zum Verlegen der herzoglichen Residenz nach
Braunschweig im Jahr 1754 beschrieben werden.
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Der streng hierarchisch gegliederte Hofstaat, an
dessen Spitze der Herzog selbst stand, setzte sich aus
drei Hauptgruppen zusammen. An erster Stelle ist
die Gruppe der Hofbeamtenschaft zu nennen. Ihre
Mitglieder stammten aus den vornehmsten Familien
der Braunschweiger Ritterschaft, und sie bekleideten
u.a. die Ämter des Oberhofmarschalls, der Oberhof-
meister,
des Oberschenken und des Oberstallmeis-
ters. Gleichzeitig bekleideten manche Hofbeamte
in Personalunion auch wichtige Stellungen in der
Staatsregierung. In der Regierungszeit von Herzog
Anton Ulrich und jener seines zweiten Sohnes Her-
zog August Wilhelm ist eine besonders hohe Kon-
zentration verschiedener Hof- und Staatsämter auf
einige wenige Personen zu verzeichnen. Zum Hof-
dienst der hohen Hofbeamten gehörte neben der
Wahrnehmung ihrer Ämter auch die Teilnahme am
Hofleben, den Solennitäten und Divertissements
und besonders ihre Anwesenheit bei der fürstlichen
Tafel, die jedem eine genau definierte Funktion in-
nerhalb des streng geregelten Tafelzeremoniells bei
den Diners (Mittagessen) und Soupers (Abendessen)
zuwies.
Das Beiwohnen der regelmäßg stattfinden-
den Assambléen war für die Hofbeamten wie für
die jungen Mitglieder der Ritterschaft, die bei Hofe
einen Ehrendienst versahen, Pflicht. Im Gegensatz
zu den Pagen und anderen ehrenhalber am Hof Be-
schäftigten, die sämtlich im Schloss selbst logierten,
wohnten die Hofbeamten außerhalb der Residenz.
Ihre oft großzügigen, beinahe palaisartigen Häuser
in der Heinrichstadt, ihre Herrenhäuser auf dem
Lande und ihre schönen Gärten vor dem Herzog-
tor werden in einem eigenen Kapitel beschrieben.
Die zweite Gruppe des Hofstaates umfasste Mit-
glieder der Ritterschaft. Zu ihnen zählten die Ehren-
knaben
(Pagen), die Hof- und Kammerjunker sowie
die Fouriere und Jagdjunker.
Das zahlenmäßig stärkste Segment des Hofstaats
vereinigte die niederen Ränge der Hofverwaltung
und die Dienerschaft im engeren Sinn. Im Gegensatz
zu den beiden erstgenannten Gruppen, deren Mit-
glieder sich ausschließlich aus dem Adel rekrutier-
ten, war für diesen fast ausschließlich in Wolfenbüt-
tel ansässigen Personenkreis bürgerlicher Herkunft
keine vornehme Geburt erforderlich.
Die Oberleitung der Hofverwaltung, die deren
Ökonomie, das Zeremoniell, das Hofgericht und die
Unterhaltung und Errichtung der Schlösser umfasste,
lag in den Händen des Oberhofmarschalls. Seinem
Amt, demHofmarschallamt, unterstanden die übrigen
Marschälle: Der Oberhofmeister, der Oberschenk,
der Oberstallmeister und der Haushofmeister. Damit
oblag ihm die übergeordnete Aufsicht der Hofküche,
des Hofkellers, der Hofmusik, des Hofklerus, der Hof-
kavaliere, Kammerpagen, Kammerjunker, Kammer-
herren, Leibärzte, der Ritterakademie und schließ-
lich der Dienerschaft. Darüber hinaus fungierte er
als direkter Vorgesetzter des Landbaumeisters, der
Gärtner und Fontänenmeister in den fürstlichen Gär-
ten und des Operntischlers. Ins Ressort des Hofmar-
schallamts fiel auch die Verwaltung der fürstlichen
Bibliothek. An deren berühmteste Leiter, den Gehei-
men Rat Gottfried Wilhelm Leibniz, 1691 bis 1716
im Amt, und Gotthold Ephraim Lessing, zwischen
1770 und 1781 auf diesem Posten, erinnert man
sich in Wolfenbüttel noch heute mit großem Stolz.
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Eine Reihe von persönlichen Daten der Män-
ner, die das verantwortungsvolle und umfangreiche
Amt des Oberhofmarschalls inne hatten, seien ge-
nannt: In der Regierungszeit Herzog Anton Ulrichs
(*1633; 1685-1714) bekleidete Bernhard Friedrich
von Krosigk (1656-1714) diese Position. Er begann
seine Karriere bei Hof als Kammerrat und avancier-
te 1689 zum Geheimen Rat, doch schied er schon
1693 auf eigenen Wunsch aus den Ämtern aus, denn
die ungleich verlockendere Stellung als Geheimer
Rat am Brandenburgischen Hof lockte ihn nach Ber-
lin. Nachfolger wurde sein Schwager Friedrich von
Steinberg (1651-1716), der 1688 zum Oberhofmeis-
Der Hofstaat
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