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zog Anton Ulrich in den Jahren von 1698 bis 1702 in
den Genuss großzügiger Subsidien des französischen
Königs Ludwig XIV. So sah sich der Herzog in der
Lage, weiter seiner Sammelleidenschaft zu fröhnen
und den Bestand an kostbaren Gemälden in Salzdah-
lum noch um ein Vielfaches zu vergrößern. Um die
wachsende Zahl der neuen Schätze würdig präsen-
tieren zu können, entschloss sich der Herzog, eine
Erweiterung seiner Galerie vornehmen zu lassen.
So entstand 1702 die „Große Galerie“.
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Auch hier
gelang die Verwirklichung einer architektonischen
Neuheit: Licht drang lediglich durch sehr hoch an
den Wänden angebrachte Mezzaninfenster in den
Raum. Auf diese Weise war nicht nur gewährleistet,
dass ein Maximum an Hängefläche für die Gemälde
zur Verfügung stand, es wurde darüber hinaus durch
die indirekte Art der Beleuchtung ein von Glanzflä-
chen und Lichtreflexen ungestörtes Betrachten der
Bilder möglich. Das Vorbild von Salzdahlum aufgrei-
fend gab Johann Wilhelm von der Pfalz, ebenfalls
ein passionierter Gemäldesammler, den Auftrag, sein
Düsseldorfer Schloss durch einen Gallerieanbau zu
ergänzen. Lothar Franz von Schönborn, der Main-
zer Kurfürst, tat es ihm wenig später gleich, und eine
Reihe deutscher Fürsten schloss sich im Verlauf des
18. Jahrhunderts an. Leo von Klenze, der bedeuten-
de Architekt, lernte diese Beleuchtungsmethode in
Salzdahlum kennen und entwickelte sie beim Bau
der Münchener Alten Pinakothek (1825-36) weiter,
wo bereits die soeben aufkommenden Glasdächer
eingesetzt wurden.
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So fand die Belichtungskonzep-
tion der „Großen Galerie“ von Salzdahlum Eingang
in den modernen Museumsbau. Außerdem ließ der
Herzog in den Jahren zwischen 1701 und 1710 auf
der Nordseite der Großen Galerie und des Corps de
Logis noch weitere Bauten anfügen, in denen seine
stetig wachsende Sammlung von Gemälden, Por-
zellan, Majolika, Ostasiatika und Skulpturen Platz
fanden.
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Zusätzlich ließ er hier auch ein Theater er-
richten.
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Auf der Südseite des Schlosskomplexes, im An-
schluss an die Schlosskapelle, entstand als spiegel-
bildliches Pendant zur GrossenGalerie einOrangerie-
gebäude. Neben dem zwei Stockwerke umfassenden
Orangeriesaal, einem Vorsaal und einem Treppen-
haus hatte man sowohl im Erdgeschoss als auch im
ersten Stock des Gebäudes die Gemächer und Kam-
mern der Bewohnerinnen des 1701 eingeweihten
evangelischen Jungfrauenklosters „Zur Ehre Gottes“
untergebracht.
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Im Winter, wenn die empfindlichen
mediterranen Gewächse in der Orangerie in kunst-
voller Anordnung aufgestellt wurden, entstand im
langgestreckten Raum als Widerpart der Gemäldega-
lerie eine sogenannte „Naturgalerie“, die zu Prome-
naden und zum Tafeln einlud. Sommers, wenn die
Pflanzen im Garten verteilt worden waren, dienten
die leeren Räume zur Ausrichtung von Festen. Die
Das Lustschloss Salzdahlum – Bau- und Nutzungsgeschichte
VII
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Abb. 206
Schloss Salzdahlum
von der Hofseite
(Osten),
Jacob Wilhelm
Heckenauer (1675-
1738), Kupferstich,
1706 (Kolorierung
zwischen 1714 und
1731); Niedersächsi-
sches Landesarchiv,
Staatsarchiv Wolfen-
büttel, 50 Slg 232,
Nr. 3
neue
Schloss zum größten Teil in Fachwerkbauweise
errichten. Schon im Jahre 1694 konnte der Hauptbau
feierlich eingeweiht werden.
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Ein dreistöckiger Zentralrisalit, der durch dop-
pelgeschossige Loggien mit den ebenfalls dreige-
schossigen Seitenrisaliten verbunden war, bildete
den Hauptblickfang der Fassade des Corps de Logis.
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Dem Hauptbau vorgelagert gruppierten sich drei
eingeschossige Flügelbauten um einen querrecht-
eckigen Hof. Diesen, wegen seiner ihn unterteilen-
den Rasenflächen auch „Grüner Hof“ genannt, be-
trat man durch eine von einem achteckigen Uhrturm
gekrönte Toranlage vis-à-vis des Haupttraktes. In
schöner Symmetrie erhoben sich rechts und links auf
den Schnittpunkten der Seitenflügel Pavillontürme,
welche die Schlosskapelle und den Speisesaal beher-
bergten. Durch den Eingang im Mittelrisalit gelangte
man in das stattliche Treppenhaus, das an den Hö-
fen Europas Bewunderung und Erstaunen hervorrief.
Durch eine Arkadenöffnung konnte der Besucher in
eine mit allen barocken Extravaganzen ausgestattete
künstliche Grotte hinabblicken und hatte gleichzeitig
die Möglichkeit, den Blick durch das gesamte Ge-
bäude hindurch bis in die großzügigen Gartenanla-
gen auf der Rückseite des Schlosskomplexes schwei-
fen zu lassen. Eine zweiarmige, doppelläufige Treppe
führte ins Obergeschoss mit dem zur Gartenseite
gelegenen Festsaal. Der hohe, eineinhalbgeschossi-
ge Raum wurde von korinthischen Säulen gegliedert,
die eine schmale, als Musikempore genutzte Galerie
trugen. Im Erdgeschoss lagen auf der Nordseite das
Appartement des Herzogs, auf der Südseite jenes der
Herzogin. Beide Zimmerfluchten waren mit Dielen-
böden, Wandbespannungen, reichen Stuckaturen,
wertvollen Gemälden, Skulpturen und prachtvollen
Möbeln ausgestattet. Die erhaltenen Appartements
des Wolfenbütteler Schlosses, die zeitgleich entstan-
den, legen davon noch heute eindrucksvoll Zeugnis
ab. Im Appartement der Herzogin befand sich eines
der ersten Porzellankabinette Deutschlands.
Die flachgedeckten Seitenflügel bargen die Ga-
lerien von Herzog und Herzogin. Aufgrund seiner
(nicht immer glücklichen) Bündnispolitik kam Her-