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Nachwort
Im Niedersächsischen Raum stellen die Residenzen in Celle und Wolfenbüttel die einzigen erhaltenen archi-
tektonischen Zeugnisse der Hofkultur der Welfen im Zeitalter des Absolutismus dar. Die wandfesten Interieurs
des Celler Fürstenschlosses stammen größtenteils aus den siebziger und achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts.
Die Räumlichkeiten der Wolfenbütteler Residenz weisen dagegen auch bedeutungsvolle Veränderungen und
Umgestaltungen aus dem späten 17. und der ersten Hälfte der 18. Jahrhunderts auf, die den Geschmacks- und
Stilwandel dieser Jahrzehnte einem Bilderbogen gleich sichtbar machen und dokumentieren.
Das Schloss in Wolfenbüttel hat vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit eine Vielzahl von
baulichen Eingriffen, Umnutzungen und auch Zerstörungen erlebt. Ohne Frage bringt es der Wandel der Zeit
mit sich, dass über die Nutzung und den Erhalt eines so großen Gebäudekomplexes immer wieder nachge-
dacht und disponiert wird. Dabei sind auf behutsame Weise ökonomisch sinnvolle und für die Stadt adäquate
Nutzungen mit denkmalpflegerisch angemessener Erhaltung zu vereinbaren. Noch in jüngster Vergangenheit
wurden mit wenig sensiblem, Fahrlässigkeit streifendem Pragmatismus bedeutende Raumausstattungen des
16. und 17. Jahrhunderts moderner Nutzung geopfert. Aufmerksam und offen sollten die Wolfenbütteler
Bürger daher das Schicksal eines architektonischen Kleinods, das Visitenkarte, Hauptakzent und Identifikati-
onspunkt ihrer Stadt ist, verfolgen und mit Interesse begleiten. Erinnert sei hier daran, wie in den Napoleoni-
schen Jahren, Jerôme Bonapartes Vorhaben, das alte Herzogsschloss niederreißen zu lassen, von couragierten
Wolfenbüttelern verhindert wurde.
Viele deutsche Städte, die heute noch die Wunden und Narben, welche die Zerstörungen des Zweiten
Weltkrieges und die Spuren der (aus der Nachkriegssituation oft verständlichen) Rigorosität der Wiederauf-
baujahre im Stadtbild aufweisen – darunter die Städte Braunschweig und Berlin, die ihre zerstörten Stadt-
schlösser auf städteplanerisch wie kunsthistorisch recht gewagte Art kostspielig rekonstruieren lassen wollen
–, schauen mit Bewunderung auf das intakte, lebendige Gefüge einer Stadt wie Wolfenbüttel. Die gewach-
sene Architektur dieser Gemeinde, die bauliche Zeugnisse aus Renaissance, Barock, Klassizismus, Bieder-
meier, Historismus und Moderne aufweist, stellt mit ihrem Charme, ihrem Sinn für Kultur und der Lebendig-
keit des Ensembles ein touristisches Ziel dar, dessen ökonomisches Potential noch lange nicht ausgeschöpft
ist. Wer diese Tatsache nicht erkennt und unbedacht und lieblos die Werte, welche Schloss, Marienkirche,
Trinitatiskirche und Innenstadt darstellen, aufs Spiel setzt, sägt am Ast, auf dem die Wolfenbütteler sitzen!
Die relative Unversehrtheit der in Niedersachsen einzigartigen barocken Innenräume des Schlosses
stellt einen besonderen Glücksfall dar. Die seit dem 18. Jahrhundert nahezu unveränderten Gemächer ge-
ben dem Besucher die Möglichkeit, sich mit Geschichte und Geschichten der Wolfenbütteler Welfen und
der Stadt Wolfenbüttel in Verbindung zu bringen. Das Wandern, Betrachten und Studieren der Gemächer,
Galerien und Treppen der ehemaligen Residenz mit ihren Dekorationen, Exponaten und Einrichtungsge-
genständen ermöglicht es, in unmittelbare Tuchfühlung und Auseinandersetzung mit historisch Geworde-
nem zu treten, das einen Schlüssel zum Verständnis unserer daraus hervorgegangenen Gegenwart geben
kann. Dieses wichtige Anliegen macht es daher nicht nur aus kunsthistorischer und konservatorischer Sicht
plausibel, das Augenmerk auch auf bislang nicht geschützte, derzeit stark gefährdete Bereiche des Schloss-
inneren zu lenken. Dabei handelt es sich langfristig darum, zunächst die Gemächer des Neuen Herzog-
appartements mit ihrer kostbaren, weitgehend erhaltenen wandfesten Ausstattung einer musealen Nutzung
zuzuführen. Zur Zeit werden diese Räume vom Gymnasium im Schloss als Bibliothek, Schüleraufenthalts-
raum und Lehrerzimmer genutzt. Darüber hinaus sollte aber auch das große Treppenhaus des Schlosses
unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen. Als erstes Treppenhaus in Niedersachsen, das durchgehend zwei
Geschosse umgreift, stellt es eine architektonische Besonderheit ersten Ranges dar. Unsachgemäße Erneu-
erungen und die naturgegeben wenig rücksichtsvolle tagtägliche Nutzung im gymnasialen Schulbetrieb ha-
ben inzwischen deutliche Spuren hinterlassen. Eine Wiederherstellung des durch historische Fotoaufnah-
men dokumetierten Originalzustands und die damit verbundene Gewinnung eines repräsentativen Entrés
zum vielgenutzten Theatersaal und zum Museum im Schloss sind ohne Frage ein besonders wichtiges Ziel.
Solche ehrgeizigen Anliegen sind zweifelsohne nicht allein von der Stadt Wolfenbüttel, der Pächterin
des Schlosses und Trägerin des Museums, zu schultern. Sinnvoll erscheint es in diesem Zusammenhang viel-
mehr – auch im Hinblick auf den im Jahr 2018 ablaufenden Pachtvertrag –, gemeinsam mit dem Eigen-
tümer des Schlosses, dem Land Niedersachsen, Lösungen für die anstehenden Aufgaben zu suchen. Eine
engere Zusammenarbeit mit den Museen in Braunschweig könnte eine sinnvolle und vielversprechende