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stand auf der Liste und, nachdem ich eine Vorladung erhielt, meldete ich mich sofort bei ihm.
Ich freute mich, weil ich seit langem nach Deutschland zur Arbeit fahren wollte. Wir verließen
Warta mit einem Güterzug. Es war nicht bequem aber erträglich. Wir bekamen sogar zu essen
und zu trinken. In einer deutschen Stadt wurden wir vom deutschen Arzt untersucht. Er erklär-
te mich für gesund. Ein Bekannter von mir wurde zurück nach Hause geschickt, weil er eine
Geschlechtskrankheit hatte. Wir kamen in Braunschweig an und versammelten uns auf einem
Platz in der Nähe des Bahnhofs. Gleich danach wurden wir von Leuten angesprochen, die unse-
re Arbeitgeber werden sollten. Ich wurde von einem Molkereibesitzer aus Burgdorf angeheuert.
Wir fuhren mit seinem PKW zu ihm nach Hause. Als wir ankamen, wurde ich gleich mit Essen
und Trinken bedient. Danach wurde mir mein Zimmer gezeigt, in dem ich schlafen sollte
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.
„Die Deutschen suchten sich nur jüngere Menschen aus der Menge aus“ –
Zwangsverpflichtungen polnischer Zivilarbeiter
Schon nach wenigen Monaten gingen die deutschen Besatzungsbehörden auch im Gene-
ralgouvernement von ‚freiwilligen Anwerbungen’ zu ‚Zwangsverpflichtungen’ über. Ein-
satzkommandos der Arbeitsämter führten, unterstützt von Einheiten der Sicherheitspolizei
und der SS, in großem Stil Fahndungsstreifen durch, bei denen vorrangig junge Polen
gruppenweise oder einzeln von der Straße aufgegriffen und zu Sammelstationen, meist der
nächsten Eisenbahnstation, gebracht wurden. Von hier aus erfolgte dann ihre Verschlep-
pung zum Arbeitseinsatz nach Deutschland
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. Unzählige junge Menschen wurden auf diese
Weise von einem Moment zum andern aus ihrer Familie, ihrem heimatlichen Umfeld
gerissen, zu Sammelstationen gebracht und mit unbekanntem Ziel nach Deutschland
abtransportiert. Beklemmende Vorgänge, die bei den Betroffenen tiefe Spuren hinterlassen
haben und in den Selbstzeugnissen einen dementsprechend breiten Raum einnehmen:
Ich ging zur Mittelschule in Lodz, wo es auch deutsche Mädchen gab, mit einigen von
ihnen war ich befreundet. In unserem Stadtteil wohnten viele deutsche Familien. Meine Eltern
gingen arbeiten, und ich und meine Schwester, die den Haushalt führte, blieben zu Hause. Als
der Krieg kam, wurde ich während einer Straßenrazzia verhaftet. Ich wollte nur kurz einkau-
fen, da sah ich einen großen Laster und eine Gruppe junger Menschen, die auf die Ladefläche
sollten. Ich konnte mich nicht mehr rechtzeitig verstecken, also nahm man auch mich mit. Wir
fuhren mit dem Laster zuerst in ein Lager in Lodz. Dort nahm man uns unsere Ausweise weg
und informierte unsere Eltern. Am nächsten Tag brachte mir meine Schwester etwas zum
Anziehen und zum Essen. Abends sind wir dann zum Bahnhof gegangen. Es war im Mai
1940. Wir stiegen in einen Personenzug ein und fuhren weg aus Lodz. In einem Durchgangs-
lager in Berlin wurden wir vom Arzt untersucht und desinfiziert. Wir bekamen vorläufige Aus-
weise und sind dann weiter nach Hannover gefahren. Dort warteten schon unsere zukünftigen
Arbeitgeber. Unsere Gruppe, insg. 40 Personen und nur Frauen, brachte man mit LKW’s nach
Braunschweig in eine Munitionsfabrik
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Ich wurde in Mokre in einer armen Arbeiterfamilie geboren. Nach dem Besuch der Volks-
schule konnte ich nicht weiter lernen. Uns fehlten die finanziellen Mittel. Mein Vater starb, als
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Jan Janiak, geb. in Warta (Polen), damals 17 Jahre alt.
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Eva
Seeber
, Zwangsarbeiter in der faschistischen Kriegswirtschaft. Die Deportation und Ausbeutung pol-
nischer Bürger unter besonderer Berücksichtigung der Lage der Arbeiter aus dem so genannten General-
gouvernement (1939 – 1945). Berlin (Ost) 1964, S. 119 ff.;
Spoerer
(wie Anm. 4) S. 46 f.
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Stefania Grabinska, geb. in Lodz (Polen), damals 19 Jahre alt.