Seite 18 - Zwist_Zwietracht

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‚Du musst die eine oder andere hier zum Besten geben!‘ Der Hausherr klang
müde. ‚Doch nicht mehr heute Abend. Genehmigen wir uns einen letzten
Schluck und gehen zu Bett. Es ist spät geworden.‘
In seiner Kammer kaum entkleidet und in die Federn gesunken, war der
Gast aus Bodenwerder eingeschlafen. Doch die anregende Unterhaltung
und reichlicher Weingenuss wirkten nach. Ein wirrer Traum brachte seine
arme Seele in die Hölle, wo der Fürst der Finsternis Hof hielt. Warum er hier
sei, fragte Karl Friedrich. Wegen Deines schnöden Erdenwandels, entgegne-
te der Teufel. Nur jener fände droben im Himmel seine ewige Ruhe, der auf
Erden Gutes getan hätte. Er aber habe nur Lügen erdichtet, statt sein Wissen
um die Wahrheit kund zu tun und damit wenigstens der Nachwelt einen
Dienst zu erweisen.
Der Lügenbaron erwachte, vomHöllenfeuer schweißgebadet. Er konnte sich
keinen Reim aus dem Traum machen. Versteckte sich irgendwo in seinen
Gehirnwindungen ein schlechtes Gewissen? Hatte er doch mehrfach ver-
sucht, mit Anton in Verbindung zu treten, der gnadenlos in russischen Ker-
kern schmachtete. Vergeblich. Der Teufel sollte sie holen, jene gewissenlo-
sen russischen Zarinnen und Intriganten – aber auch den kaltherzigen
Fürsten von Wolfenbüttel nicht vergessen, der keinen Finger gerührt hatte,
seinem leiblichen Bruder zur Freiheit zu verhelfen. Herzog Karl verstand es,
sein Gottesgnadentum auszuleben. Aber er war nicht Manns genug, per-
sönlich nach St. Petersburg zu reisen, um ein kaiserliches Frauenherz zu
erweichen und Antons Freilassung zu erwirken. Die Höllenglut wäre
gleichfalls demHerzog August Wilhelm zu wünschen, dessen abartige Lust
den Onkel Hieronymus um Amt und Vermögen gebracht hatte. Wenigstens
eine Weile im Fegefeuer schmoren sollte aber auch Ludwig Rudolf – wegen
kleinlichen Verhaltens als Gläubiger seines verdienstvollen Ministers.
Wäre es etwa gottgefällig, die Verfehlungen selbstsüchtiger Alleinherrscher
anzuprangern? Zu wessen Nutzen? Der Nachwelt zuliebe? Karl Friedrich
von Münchhausen hatte noch eine Weile mit seinem Gewissen zu hadern,
bis ihn endlich der Schlaf davon befreite.
Anderntags ließ man sich über einem üppigen Frühstück Zeit, bis die Sonne
den Morgennebel vertrieben hatte. Erst am späteren Vormittag war eine
Spazierfahrt im offenen Wagen auch ohne den Schutz lästiger Mäntel und
Decken zumutbar. Der alte Gaul im Geschirr des in der Hofeinfahrt bereit-
stehenden, unscheinbaren Kutschwagens wartete geduldig, bis die Herr-
schaften erschienen.
Der Hausherr entschuldigte die mangelnde Noblesse des Gefährts und lud
den Gast ein, an seiner Seite auf der schlichten Sitzbank Platz zu nehmen.
‚Für bessere Equipagen sind die Gassen von Wolfenbüttel nicht mehr geeig-
net. Früher wäre mir kaum in den Sinn gekommen, anders als zweispännig
und natürlich in hoffähiger Uniform, sorgfältig gepuderter Perücke durch