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einige Hintergründe für den historischen Rahmen und die
Situation des Stifts aufzeigen.
Abt Wolframs Herkunft ist bislang nicht geklärt, er soll
nach spätmittelalterlicher Überlieferung ein Graf von
Kirchberg/Kirberg in Sachsen oder Thüringen gewesen
sein, ist aber in den dortigen Familien nicht nachzuweisen.
Wahrscheinlicher wäre noch eine Verbindung mit der auf
der Burg Hainleite am Südharz beheimateten Familie der
Grafen von Kirchberg, die seit 1180 vier Domherren im
Domkapitel von Halberstadt stellte.
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Ein Hinweis auf den Stifter kommt aus der Ende des 15.
Jahrhunderts entstandenen Chronik der Stadt Helmstedt
von Henning Hagen (* um 1435), der immerhin von 1492
bis zu seinem Tod 1504 selbst Propst von St. Ludgeri in
Helmstedt war und deshalb hier mit Quellenkenntnis und
hoher Glaubwürdigkeit berichtete, dass Gründer Wolfram
nach seinem Tod in der Marienberger Stiftskirche beige-
setzt worden sei. Die Vermutung liegt nahe, dass er schon
bei der Gründung das Stift zu seiner Grablege bestimmt
hatte. Zwar ist das Grab nicht nachzuweisen, für die Echt-
heit dieser Nachricht spricht aber, dass auch in Marienberg
am Anfang des 18. Jahrhunderts diese Tradition gepflegt
wurde (s. Beitrag von Ingrid Henze ab S. 80). Eine weitere
persönliche Verbindungslinie zum Stifter und seiner Familie
zeigt sich in der Werdener Chronik der Brüder Georg und
Adolf Overham mit der Nachricht, er habe das Stift für
seine Schwester (
sub auspiciis sue sororis
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errichtet.
Seine Schwester hat ihn danach zur Gründung angeregt
und er handelte, sei es um ihr eine standesgemäße Versor-
gung zu geben oder um sie aktiv in einem Damenkonvent
tätig zu sehen. Sie war möglicherweise sogar die erste
Priorin.
Die politisch bewegte Lage in Ostsachsen muss bei der Suche
nach den Motiven und der Situation der Stiftsgründung un-
bedingt berücksichtigt werden: Eine starke Fürstenopposition
stand im Einvernehmen mit dem Augustiner-Chorherrenver-
band zwischen 1174 und Anfang 1177 vor allem im Bistum
Halberstadt dem intensiven Machtstreben Heinrichs des
Löwen entgegen. Eine Stiftsgründung auf Eigengut der Abtei
St. Ludgeri konnte bedeuten, dass Abt Wolfram bis dahin
vogtfrei gebliebene Teile des Besitzes in einem Augustiner-
Chorfrauenstift dem drohenden Zugriff des Welfen entziehen
wollte. Ein solcher Versuch konnte nur bis 1176 Aussicht auf
Erfolg gehabt haben. Danach hatte sich die Situation für die
Abtei St. Ludgeri zum Nachteil verändert. Die Sommerschen-
burger waren 1179 in männlicher Linie ausgestorben und
Heinrich der Löwe hatte sich umgehend (rechtswidrig) einen
großen Teil ihres Besitzes angeeignet, darunter vermutlich
auch die Vogteirechte von St. Ludgeri. Wenn 1176/77,
zum möglichen Zeitpunkt der Stiftsgründung, Erzbischof
Wichmann von Magdeburg und auch Abt Wolfram sich im
Gefolge des Kaisers in Italien aufhielten, so lässt sich das in
diesem zeitgeschichtlichen Kontext als Ausdruck kirchlicher
Opposition gegen Herzog Heinrich den Löwen
interpretieren.
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Eine weitere Notiz des Chronisten Henning Hagen spezifi-
ziert den Gründungsvorgang noch. Danach habe Abt
Wolfram die Leitung in Marienberg zunächst einem Mönch
von St. Ludgeri aus Helmstedt übertragen. Das war unge-
wöhnlich für einen Augustinerinnen-Konvent, als dessen
Propst ein Kleriker und kein Mönch zu erwarten ist. Diese
Nachricht kann wohl nur so zu verstehen sein, dass der
Aufbau der Neugründung in den ersten Jahren nach 1176
unter der kommissarischen Oberleitung eines Mönchs seiner
Abtei erfolgte. Damit wären auch die benediktinisch-
hirsauischen Einflüsse in der Konzeption der Stiftsanlage
zu erklären.
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Auch der zeitliche Hintergrund für den Bau,
bei dem man den Beginn der Errichtung des Westflügels
des Kreuzganges zu Mitte der siebziger Jahre des 12. Jahr-
hunderts ansetzt, würde damit übereinstimmen.
Die zweite für die Klosterstiftung überlieferte Jahreszahl,
1181, könnte in diesen Zusammenhang passen und für
den Einzug der ersten Stiftsdamen stehen, die, so wird das
von Heinrich Meibom (1555–1625) berichtet,
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in diesem
Jahr aus dem Augustiner-Chorfrauenstift Steterburg ge-
kommen sind. Zugleich könnte zu diesem Zeitpunkt die
Leitung des Stifts an einen Propst und eine Priorin über
geben worden sein.
Die Vogteirechte waren von großer Bedeutung, weil sie
die Güterverwaltung und die Vertretung eines Konvents in
Fragen der Gerichtsbarkeit beinhalteten. Aus der Eintra-
gung der Marienberger Vogtei im Lehnsregister der Grafen
von Blankenburg geht hervor, dass die Pläne von Abt Wolfram
das Stift Marienberg nicht dauerhaft vor dem Zugriff der
welfischen Herzöge schützen konnten. Spätestens durch
den Sohn Heinrichs des Löwen konnte die Stiftsvogtei als
welfischer Besitz durchgesetzt werden: Um 1209 wird als
Pfalzgraf Heinrichs Untervogt der Graf Sigfried II. von
Blankenburg genannt, dann 1246 erscheint Friedrich von
Esbeck in den Urkunden als Inhaber der Vogtei, 1264 ging