Seite 14 - Der_unendliche_Faden

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des 12. Jahrhunderts gewährte den Stiftungen zunehmend
größere Unabhängigkeit von ihren Gründern. Die Freiheit
der Propstwahl ist ein Maßstab für die vom Gründer zuge-
standene Eigenständigkeit eines Konvents.
In einer undatierten, auf 1235 zu beziehenden Urkunde
­bestätigte Bischof Friedrich von Halberstadt dem Abt von
Werden und Helmstedt alle Rechte am Stift Marienberg, die
dessen Vorgänger bisher ausgeübt hätten.
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Die auffällige
Formulierung in der Urkunde des Bischofs, die von den
Rechten spricht, die der rechtmäßig haben muss (
omne ius
… quod habere debet de iure
), kann auf eine für die Abtei
bereits über längere Zeit schwelende (
cum diu ventilata fuit
causa
) Unsicherheit um die Freiheit der Propstwahl für
­Marienberg hindeuten. Im Jahr 1247 kam das Problem zur
Lösung, es wurde eine Urkunde ausgestellt von je drei
Schiedsmännern (
arbitri
) des Propstes Ulrich von Marien-
berg und des Abtes Gerhard von Werden (und Helmstedt)
und darin festgelegt, dass nur der Konvent von Marienberg
den Propst wählt. Diese Wahl musste nach kanonischem
Recht gemeinsam von allen Stiftsdamen und einstimmig
­erfolgen. Nach der Wahl wurde der neue Propst vom Konvent
dem Abt von Werden und Helmstedt vorgestellt, um von
ihm in seine weltlichen Rechte als Propst eingesetzt zu
­werden. Wenn der Abt sich nicht in Sachsen aufhielt, dann
musste der gewählte Propst zu dessen Aufenthaltsort reisen
und ihm eine Urkunde des Konvents über seine Wahl vor­
legen. Um die Möglichkeit einer langen Vakanz bei Ab­
wesenheit des Abtes zu vermeiden, hatte man einen Weg
­gefunden, die Wahl schon zu Lebzeiten des ­alten Propstes
vorzuziehen. Der neue Propst wurde nach der Einsetzung
dann mit einem Schreiben zum Empfang der spiritualia
an den Bischof von Halberstadt geschickt. Das Patronat
­verblieb beim Abt von St. Ludgeri.
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Dass die Präsentations-
pflicht ein Konfliktgegenstand blieb, zeigte sich in der zwei-
ten Hälfte des 15. Jahrhunderts und im Zuge der Durch­
führung der Windesheimer Reform. Abt Konrad von Gleichen
versprach 1461, die Rechte Marienbergs nicht zu schmälern,
er wollte jedoch im Einvernehmen mit dem Konvent bei zwei
Universitäten Rechtsgutachten einholen, ob er berechtigt
sei, bei der Präsentation des Propstes ­Gebühren zu erheben.
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Insgesamt aber war, auch wenn diese wenigen Urkunden
gewisse aus der Propstwahl entstehende Spannungsmög-
lichkeiten thematisieren, das Verhältnis zwischen dem Abt
von St. Ludgeri als Patronatsherrn und dem Stift Marienberg
weitgehend konfliktfrei und harmonisch.
Für die Huldigungsprozession, in der die Stiftsdamen zu-
sammen mit den Brüdern von St. Ludgeri und den Einwoh-
nern von Helmstedt van older wonheyd den Äbten ent­
gegenziehen mussten (
domine … processionaliter abbati
occurrent
), wurde, obwohl das Verlassen des Stifts nach
Augustinusregel eigentlich nicht statthaft war, hier sogar
eine Lockerung der Klausur toleriert. Einsprüche des Bischofs
von Halberstadt gegen die Teilnahme der Marienberger
Konventualinnen sind nicht bekannt.
Vom Archiv
Ein neu gegründetes Stift hatte als eine der ersten dring-
lichen Pflichten den Aufbau von geeigneten Räumen zu
leisten: Klausurgebäude und Kirche mussten erstellt wer-
den, um die Sicherheit für Leib und Leben zu garantieren.
Das waren die Voraussetzungen für das angestrebte geist-
liche Leben. Damit direkt verbunden musste die Sicherung
der weltlichen Existenzgrundlage aufgebaut werden. Dazu
gehörten mächtige, Schutz versprechende Stifterpersön-
lichkeiten, Grundbesitz, Einkommenserwerb durch auszuü-
bende Rechte und der Aufbau eines irgendwie räumlichen
Einflussbereichs.
Schutz, Schenkung oder Einkommen wurde im Mittelalter
garantiert durch Urkunden. Aus diesem Grund waren die mit
Eisengallustinte auf Pergament geschriebenen Dokumente,
die in Zeiten noch fehlender staatlicher und zentral ver-
walteter Rechtssicherheit durch ihren realen Quellenwert
die darin fixierten Rechtsgeschäfte sicherten, von überaus
großer Bedeutung. Gerade deshalb wurde dieses Schrift-
gut besonders gesichert und ist so in großer Vollständigkeit
von Beginn an und über alle Feuersbrünste und kriegeri­
sche Not hinweg überliefert. Heute gibt uns das Urkunden­
archiv die Möglichkeit, intensiv in das Leben in Marienberg
während des Mittelalters hineinzuschauen.
Mit 546 Urkunden aus der Zeit von 1189 bis 1791 verfügt
das Stift über eine reichhaltige originale Überlieferung, die
nach 1629 sogar zeitweilig aus dem Stift entführt war.
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Von Propst Hermann von der Hardt, Professor der orienta-
lischen Sprachen an der Universität Helmstedt, wurde das
Archiv bis 1723 in Ordnung gebracht. Von seiner Hand
sind Regesten, Dorsalvermerke auf vielen Urkunden und
die Nachrichten über die Unterbringung des Archivs vor-
handen. Für 1750 ist dessen Eingang in das Generalarchiv
Wolfenbüttel überliefert. Der Geheime Justizrat G. S. A.
von Praun ließ in lateinischer Sprache das noch heute im